INTERVIEW mit Dr. Martin Skrodzki

INTERVIEW mit Dr. Martin Skrodzki

 Martin Skrodzki ist Mathematiker und Informatiker und arbeitet momentan als PostDoc am RIKEN in Wako-Shi, Japan. Mit seiner Präsentation zu selbstfahrenden Autos hat Martin den diesjährigen Science Slam auf der Virtual GAIN20 gewonnen – verbunden mit einem vom DWIH NY gestifteten Preisgeld von $3000. Martin koordiniert und leitet außerdem den neu gegründeten GAIN/GSO Stammtisch in Tokio.

Martin, du arbeitest momentan als Visiting Researcher im iTHEMS Programm bei Rikagaku Kenkyusho (RIKEN), einem großen Forschungsinstitut im Bereich der Naturwissenschaften in Japan. Erzähl uns doch kurz, wie du dorthin gekommen bist.

 Seit meinem achtzehnten Lebensjahr praktiziere ich die japanische Selbstverteidigung Aikido. Entsprechend lange bin ich sehr interessiert an Japan und der japanischen Kultur. Während meines Bachelor- und Masterstudiums sowie während meiner Promotion wurde ich von der Studienstiftung des Deutschen Volkes mit Stipendien gefördert. Ein Programm der Studienstiftung beinhaltet die Entsendung von Stipendiat*innen aus der Promotionsförderung an das RIKEN Forschungsinstitut. Als ich davon erfahren habe, war ich sofort Feuer und Flamme. Allerdings hatte ich für das zweite Jahr meiner Promotion bereits einen von der Minerva Stiftung geförderten Gastaufenthalt an der Tel Aviv University geplant und wollte mich im dritten Jahr meiner Promotion auf die Produktion von Ergebnissen konzentrieren, was mir in meinem bekannten Umfeld in Berlin einfacher fiel. Daraus wurden dann zwei Jahre, aber die Studienstiftung hat ihr Programm dankenswerterweise sehr flexibel ausgelegt und mich auch nach dem erfolgreichen Abschluss der Promotion in das Programm aufgenommen.  Ich habe mich dann bei drei verschiedenen Arbeitsgruppen an den unterschiedlichen Standorten des RIKEN beworben und bin schließlich im „interdisciplinary Theoretical and Mathematical Sciences Program“ (iTHEMS) in Wako-Shi, wenige Metrostationen westlich von Tokio, gelandet.

Nach dem B.Sc. hast du ein Jahr in Laredo, TX studiert und nach Abschluss deiner Doktorarbeit im Juli 2019 an der FU Berlin vier Monate als Postdoc am Institute for Computational and Experimental Research in Mathematics (ICERM) an der Brown University verbracht. Du hast im Laufe deines akademischen Werdegangs verschiedene Auslandserfahrungen gesammelt – erst in den USA und jetzt in Japan, und damit auch unterschiedliche Wissenschaftslandschaften und -kulturen kennengelernt. Wie unterscheidet sich das wissenschaftliche Forschen in den USA, Japan und in Deutschland? Was sollten deutsche Institutionen deiner Meinung nach übernehmen, an welchen Stellen könnten die USA und Japan dazulernen?

In den USA hat mir besonders gut gefallen, wie früh Studierende an eigene Forschungsarbeiten herangeführt werden. Aus Deutschland bin ich im Bereich der Mathematik gewohnt, dass man sich zwar im Studium mit Fachartikeln beschäftigt und diese vielleicht auch in einem Seminar vorstellt. Abgesehen von der Bachelor- oder Masterarbeit findet eigene Forschung aber kaum statt und selbst diese Abschlussarbeiten sind häufig der Aufbereitung von Literatur oder dem Erarbeiten weiterer Beispiele gewidmet. In den USA gibt es dagegen eine Kultur der „undergraduate research“, mit entsprechenden Zeitschriften, in denen solche Forschungsprojekte auch veröffentlicht werden können. Ich selbst habe an der Texas A&M International University auf zwei Studierendenkonferenzen vorgetragen, was meine ersten Erfahrungen mit dem Format wissenschaftlicher Konferenzen waren. Davon habe ich sehr profitiert und ich würde mir wünschen, dass Studierende auch in Deutschland viel früher aktiv an Forschung teilnehmen (können) und dass für die Ergebnisse dann auch entsprechende Publikationsorgane vorhanden sind.

Die USA können sicherlich von Deutschland lernen, welche Vorteile ein kostenfreies Bildungssystem bietet. Ich konnte nur aufgrund der kombinierten Unterstützung der Studienstiftung, des International Student Exchange Program (ISEP) und der Fulbright Stiftung in den USA studieren, da selbst $3500 pro Semester für einen nichtakademischen Haushalt viel Geld sind. Umso wichtiger ist es, dass die bestehenden Förderprogramme nicht weiter gekürzt, sondern ausgebaut werden und dass die USA ihr wissenschaftliches Potential in allen gesellschaftlichen Schichten finden und nutzen.

Die japanische Kultur ist in allen ihren Ausprägungen sehr indirekt und damit sehr verschieden von meinen Erfahrungen in den USA und auch in Deutschland. Das schlägt sich auch in wissenschaftlicher Zusammenarbeit und in Diskussionen nieder. Während mir auf Tagungen in den USA gerne mal ein „That is clearly wrong!“ entgegenfliegt, ernte ich hier in Japan eher einige höfliche Komplimente und Schweigen. Daraus kann sich dann allerdings keine konstruktive Debatte entwickeln. Etwas mehr Mut zu direktem Feedback und pointierten Nachfragen würden die Diskussionen und damit auch die Forschung in Japan sicherlich voranbringen.

Aus dem Shintoismus kommend, gibt es in Japan den Glauben an „Tsukumogami“ – Geister, die alltäglichen Gegenständen innewohnen. Dieser Glaube führt zu einem sehr sorgfältigen Umgang mit jeglichem Besitz. Dieser Umgang überträgt sich in die kollektiv geprägte Gesellschaft als große Wertschätzung und Beachtung für jegliche Form von Tätigkeit. Insbesondere im akademischen System, das von prekärer Bezahlung und Befristungen von Verträgen für junge Wissenschaftler*innen geprägt ist, würde ich mir solch eine Form der Wertschätzung wünschen. Eine Wertschätzung, die optimalerweise auch in einer nachhaltigen Änderung des Systems resultiert.

Du bist im Januar 2020 nach Japan gezogen – zeitgleich mit den ersten bestätigten Coronavirus-Fällen in Japan und der sich immer rasanter entwickelnden Covid-19 Pandemie. Erzähl uns ein bisschen über deine Erfahrungen: Wie hat sich vor diesem Hintergrund das Ankommen in einem neuen Land, in einer neuen Umgebung für dich gestaltet? Wo lagen und liegen die persönlichen und beruflichen Herausforderungen?

Im Februar war ich noch für ein paar Tage auf dem Yuki-Matsuri (Schnee-Festival) in Sapporo auf Hokkaido und bin dort über ein vergleichsweise verwaistes Festivalgelände spaziert, da Einreisen aus China für Touristengruppen bereits verboten waren.  Einen Monat später, im März, kam dann auch hier in Japan der Lock-Down. Wir wurden am Institut ins Home-Office geschickt und im Kreis der internationalen Forschenden haben wir uns darüber ausgetauscht, wie man nun am besten Lebensmittel auf japanischen Seiten im Internet bestellt. Die ersten Wochen dominierte dann auch der morgendliche Blick auf die Webseite mit den aktuellen Infektionszahlen für Japan und die regelmäßige Lektüre des elektronischen „Landsleutebriefs“ mit Informationen aus der deutschen Botschaft.

Ich habe ein paar Wochen lang überlegt, ob ich meinen Aufenthalt unterbreche und nach Deutschland fliege. Im Nachhinein bin ich froh, das nicht getan zu haben, denn Japan hat erst zum 1. Oktober die (Wieder-)Einreise für Menschen mit Visa gestattet. Außerdem ist mein Stipendium an meinen Aufenthalt im Ausland gebunden – eine frühere Rückreise hätte mir meine finanzielle Lebensgrundlage entzogen. Daher bin ich froh, hier geblieben zu sein, zumal die Infektionszahlen in Japan im Vergleich zu Europa sehr gering ausfallen. Die Entscheidung, das Jahr in Japan zu verbringen war aber auch sehr schmerzlich. Eigentlich war geplant, dass ich Besuch aus Deutschland erhalten sollte und dass ich auch auf Konferenzreisen in Europa ein oder zweimal in Deutschland vorbeischaue. Diese lange Trennung von meiner Freundin und meiner Familie hat das Jahr sehr erschwert. Dazu kommt, dass wir seit Ende März de facto ständig im Home Office sind. Als mathematische Arbeitsgruppe brauchen wir keine großen Versuchsaufbauten, keine Labore, sondern etwas Papier, Stifte und einen Computer mit Internetanschluss. Entsprechend habe ich allerdings auch kaum Kontakt zu den Kolleg*innen am RIKEN und bearbeite statt neuer Projekte eher Dinge, die sowieso noch „auf der hohen Kante lagen.“

Wie sieht seitdem dein Forschungsalltag aus? Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Vernetzens nutzt du?

Die Einschränkungen der Covid-19 Pandemie haben natürlich auch negative Auswirkungen auf meinen Forschungsalltag. Wie gesagt sind wir alle gerade im Home Office. Entsprechend gibt es keine Seminare vor Ort am RIKEN, es gibt keine Diskussion im Büro mit den Kolleg*innen und natürlich auch erst recht keine Gelegenheit, zwischen Tür und Angel bei einem Kaffee mit Leuten über ihre Forschung ins Gespräch zu kommen. Diese Kaffeepausen sind manchmal die produktivsten Teile des Tages und fehlen mir sehr. Auch ist es mir gerade nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten möglich, andere Institutionen in Japan zu besuchen, um dort Vorträge zu halten, meine Forschung zu präsentieren und so bekannter zu machen. Und persönliche Besuche internationaler Tagungen sind natürlich gerade auch undenkbar.

Allerdings gibt es auch einige positive Aspekte an den Entwicklungen. Viele Konferenzen finden aktuell online statt und sind deshalb günstiger oder sogar kostenlos. Da mein aktuelles Stipendium keine Reisemittel vorsieht, kann ich so problemlos an diesen Veranstaltungen teilnehmen, ohne aufwändig Anträge für Förderung einer Dienstreise schreiben zu müssen. Auch viele kleinere oder kürzere Workshops und Konferenzen finden online statt. Ich würde wahrscheinlich nicht aus Japan an die Ostküste der USA fliegen, um dort an einer zweitägigen Tagung teilzunehmen und wäre deshalb wohl nicht zur GAIN Jahrestagung geflogen. Aber online ist das (von der Zeitverschiebung abgesehen) kein Problem und so konnte ich auf dem Science Slam der GAIN sprechen [1]. Im September habe ich auf der Jahrestagung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ein Minisymposium zu Mathematik und Kunst organisiert [2]. Da konnten wir einige Vortragenden aus Nord- und Südamerika begrüßen, die ebenfalls nicht für wenige Tage nach Deutschland gekommen wären. Deshalb würde ich mich freuen, wenn die online Teilnahme an Konferenzen auch in Zukunft weiterhin möglich ist, ggfls. als hybrides Format zur Teilnahme vor Ort. Das trägt meiner Meinung nach zu viel Chancengleichheit, zu mehr Diversität und zu mehr Teilhabe bei.

Als Postdoc befindest du dich an einem entscheidenden Punkt deiner wissenschaftlichen Karriere. Was sind deine weiteren beruflichen Pläne? Was wünschst du dir, was erhoffst du dir?

Aktuell läuft gerade ein Antrag im Walter Benjamin Programm der DFG, der – natürlich wegen der Covid-19 Pandemie – gerade länger als üblich in Begutachtung ist. Sollte der Antrag positiv beschieden werden, darf ich für zwei Jahre in einer Arbeitsgruppe in den Niederlanden forschen, worauf ich mich schon sehr freue. Im Anschluss würde ich perspektivisch gern zunächst eine Nachwuchsgruppe, dann längerfristig eine Professur in Deutschland übernehmen.

Seit Beginn meiner Promotion bin ich sehr an interdisziplinären Projekten im Schnittbereich von Mathematik und Kunst interessiert. Ich habe hierzu in den letzten Jahren regelmäßig auf der Konferenz „Bridges“ [3] publiziert und bin seit einigen Monaten Associate Editor des „Journal of Mathematics and the Arts“ [4]. Leider ist es in Deutschland weiterhin schwierig, solche interdisziplinäre Forschung zu verstetigen. Anträge an die DFG werden in Fachkollegien entschieden, Professuren an deutschen Hochschulen sind in Fakultäten verortet und meist hoch spezialisiert und die Expertise von Forschenden wird daran gemessen, wie sehr sie sich in ihrem jeweiligen Kerngebiet auskennen und etabliert haben. Hier erhoffe ich mir ein mittelfristiges Umdenken, um mehr interdisziplinäre Projekte zu fördern, sodass auch ich mit meiner Leidenschaft für Mathematik und Kunst einen Platz in der deutschen Hochschullandschaft finde.

Gibt es etwas, dass du aus deinen bisherigen Erfahrungen anderen Nachwuchswissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlerinnen aus der GAIN Community empfehlen oder als Tipp mitgeben möchtest?

Im Sinne von Robert Frost: „Two roads diverged in a wood, and I—I took the one less traveled by, and that has made all the difference.” Ich finde mich häufig in meinen aktuellen Projekten gefangen und mehr als beschäftigt damit, mehr Artikel, mehr Forschung und mehr Vorträge anzusammeln. Die spannendsten Projekte waren dann in der Rückschau aber die, die ich eher zufällig aufgesammelt habe und die etwas abseits des Weges lagen. Deshalb: Nehmt die Gelegenheiten war, die sich euch bieten. Geht auch mal auf Tagungen, die nicht direkt eurem Fachbereich entsprechen, kommt ins Gespräch mit Menschen abseits eurer Disziplin und lasst euch auch mal etwas treiben. Zeit für die Arbeit am nächsten Artikel bleibt dann immer noch genug.

Website: https://ms-math-computer.science

Twitter: @msmathcomputer2

[1] https://www.gain-network.org/de/karrieren-gestalten/gain-jahrestagung/virtual-gain20-das-war-der-science-slam/

[2] https://ms-math-computer.science/projects/dmv_math_art_20.html

[3] https://bridgesmathart.org/

[4] https://www.tandfonline.com/loi/tmaa20

Oktober 2020