Interview mit Baris Tursun
Dr. Baris Tursun
Dr. Tursun ist am Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) des Max-Delbrück-Centrums tätig. Davor verbrachte er sechs Jahre an der Columbia University in New York. Das Reprogrammieren von Zelltypen im Modelorganismus C. elegans bildet sein Forschungsschwerpunkt.
GAIN: Herr Dr. Tursun, Sie haben sich lange Zeit in New York aufgehalten und von 2006 bis 2012 an der Columbia University geforscht. Weshalb und wie sind Sie 2006 an die Columbia University gekommen und was hat Sie dann nach 6 Jahren Ausland dazu bewogen, wieder nach Deutschland zurückzukehren?
Dr. Baris Tursun: In die USA ging ich, weil ein Aufenthalt dort für die wissenschaftliche Karriere sehr förderlich ist. Für die Columbia Universität selbst habe ich mich entschieden, da sich dort eine Forschergruppe genau mit dem Thema und Modellorganismus beschäftigt, mit dem ich auch arbeite. Dazu fand ich New York natürlich auch eine sehr interessante Stadt.
Für die Rückkehr selbst waren dann hauptsächlich familiäre Gründe ausschlaggebend.
GAIN: Auf welchem Weg haben Sie Ihre Stelle als Gruppenleiter am Max-Delbrück-Centrum gefunden? Wie hat sich die Jobsuche gestaltet und welche Portale/Medien/Anlaufstellen waren für Sie dabei besonders hilfreich?
Dr. Tursun: Nach dem Erscheinen meiner Hauptpublikation in einem sehr guten Journal kam für mich der ideale Zeitpunkt, den nächsten Karriereschritt zu machen. In der biomedizinischen Forschung hat dabei das eigene Netzwerk große Bedeutung. Alle Stellen, auf die ich mich beworben habe, wurden an mich herangetragen. Nach diesem Prinzip hatte ich auch am Max-Delbrück-Centrum einen Kontakt, der mir die Ausschreibung in einer E-Mail weiterleitete.
Trotzdem hielt ich währenddessen auch die Augen offen und schaute auf entsprechenden Seiten. Die meisten Positionen, die mir weitergeleitet wurden, waren auch offiziell ausgeschrieben – nur habe ich die Hinweise auch direkt persönlich erhalten.
Insgesamt hat der Prozess fast ein Jahr gedauert – wobei das ziemlich schnell ist. Es kann auch sein, dass man in einem Zeitfenster sucht, in dem nicht so viel ausgeschrieben ist und sich die Suche deshalb schwieriger gestaltet.
GAIN: Welche zusätzliche Unterstützung hätten Sie sich gewünscht?
Dr. Tursun: Mir bereitete Schwierigkeiten, dass ich in Verhandlungen keine Vergleichsgrundlage bezüglich der Verträge hatte. Zwar gibt es den Hochschulverband , der in diese Richtung Hilfe anbietet, aber meine Idee wäre es, Rückkehrern von Netzwerken wie beispielsweise GAIN mehr solche Informationen zur Verfügung zu stellen. Man kommt sich sehr alleine gelassen vor und muss Informationen selbst zusammensuchen, meistens über den Austausch untereinander.
GAIN: Durch Ihre Forschungsarbeit in den USA und Deutschland kennen Sie beide Wissenschaftssysteme sehr gut. Was können die Deutschen von den amerikanischen Kollegen lernen? Und was könnten sich wiederum die Amerikaner von der Forschung in Deutschland abschauen?
Dr. Tursun: Tatsächlich wird in allen Laboren sehr ähnlich gearbeitet. Unterschiede gibt es vor allem in Mentalitäten, die nicht direkt mit wissenschaftlichem Arbeiten zu tun haben.
Beispielsweise ist mir aufgefallen, dass die amerikanischen Kollegen drüben mehr Wert auf ehrliches Zuhören und Verstehen legen. Hier habe ich manchmal das Gefühl, dass mir die Leute weniger zuhören.
Ich fände es gut, wenn es auch an deutschen Forschungsinstitutionen möglich wäre, zu lehren und nicht nur zu forschen. Lehre verstärkt generell den wissenschaftlichen Austausch und schafft ein Gefühl der Ganzheitlichkeit und des Zusammenhalts. Prinzipiell sollte in Deutschland ein gesunder Mittelweg zwischen Forschung und Lehre an den Instituten wie auch Universitäten geschaffen werden.
Was wir uns sonst noch abschauen können, ist die Diversität: Die Mischung der verschiedenen Menschen, die alle unter dem Hut der Wissenschaft arbeiten. Das ist ganz enorm und trägt stark dazu bei, dass Drive und Inspiration vorhanden sind. Fragt sich natürlich, wie sich das unter Trump verändern wird.
GAIN: Was müssen aus Ihrer Perspektive deutsche Hochschulen machen, um international noch attraktiver zu werden? In welchen Bereichen sehen Sie diese Veränderungsprozesse bereits?
Dr. Tursun: Generell brauchen die deutschen Hochschulen ein transparenteres Tenure-Track-System wie es in den USA vorhanden ist. Ein Kollege aus den USA lehnte ein Angebot eines Max-Planck-Instituts sofort ab, weil es eben kein Tenure-Track-Programm gab. Zum Glück verändert sich das auch hier, das 1000 Tenure-Track-Programm ist genau der richtige Schritt.
Zusätzlich muss auch die Administration an Universitäten und Institutionen stärker auf internationale Forscher eingestellt sein. Das beginnt schon bei der Sprache und den Englischkenntnissen. Dieses Problem wird oft unterschätzt und gilt nicht nur für Universitäten, sondern auch Ämter. Am Max-Delbrück-Centrum haben wir ein Welcome Center mit einer sehr kompetenten Dame, die auch über ausgezeichnete Englischkenntnisse verfügt und versucht, für Neuankömmlinge alles so vorzubereiten, dass sie problemlos Beamtengänge erledigen können und sich zurechtfinden. Das braucht es verstärkt.
Was sich natürlich auch auf die Attraktivität Deutschlands auswirkt, ist der Umgang mit Flüchtlingen und Ausländern. Wenn wir internationaler sein wollen, dann muss auch mit Immigranten anders umgegangen werden. Fremdenfeindlichkeit ist ein abschreckendes Kriterium für ausländische Forscher.
GAIN: Falls Sie in der Zeit 10 Jahre zurückgehen und Ihrem jüngeren Selbst drei Ratschläge geben könnten: Welche wären dies?
Dr. Tursun: Ich glaube, dass ich vieles ähnlich machen würde. Ein ganz pragmatischer Ratschlag an Nachwuchsforscher, den ich persönlich auch vielen Doktoranden weitergebe: Ab dem Datum, das auf der Promotionsurkunde steht, tickt die Uhr für viele Förderprogramme wie ERC Grants und das Emmy Noether-Programm. Hier macht es Sinn, das Datum strategisch so spät wie möglich zu setzen. Als Doktorand sollte man nicht nur über die Zeit unmittelbar danach nachdenken, sondern auch langfristig planen. Ich selbst habe mich beispielsweise mit meiner Verteidigung sehr beeilt, da mein Doktorvater in die USA gegangenen ist.
Heute ärgere ich mich etwas darüber, ich hätte mir mehr Zeit lassen und dadurch ein größeres Zeitfenster schaffen können. Allerdings sollte dabei auch das Gleichgewicht zwischen Planung und Freude an der Arbeit nicht aus dem Auge gelassen werden. Man braucht das richtige Maß an Naivität und Pragmatismus.
GAIN: Gibt es noch etwas, das Sie zum Abschluss des Interviews gerne an die GAIN Community weitergeben würden?
Dr. Tursun: Ich würde allen empfehlen, Networking zu betreiben, fleißig Leute kennenzulernen und die Bekanntschaften dann auch aufrecht zu erhalten. Vor allem sollten Kontakte nach Deutschland nicht außer Acht gelassen werden, da diese bei der Jobsuche sehr hilfreich sein können. In meinem Feld kann ich noch den Ratschlag hinzufügen, dass man so viel und gut wie möglich während des Postdoc publizieren sollte.
Bei GAIN fand ich die Stammtische toll. Die haben nicht nur geholfen, eine Verbindung nach Deutschland aufrecht zu erhalten, sondern sich mit Wissenschaftlern aus anderen Bereichen auszutauschen. Das war inspirierend und sehr interessant.