Interview mit Michael Giese
Professor Dr. Michael Giese
Professor Dr. Michael Giese beschäftigt sich am Institut für Organische Chemie der Universität Duisburg-Essen schwerpunktsmäßig mit Supramolekularen Funktionalen Materialien. Zwischen 2012 und 2014 forschte er zwei Jahre an der University of British Columbia in Vancouver.
GAIN: Herr Professor Giese, Sie haben von 2012-2014 zwei Jahre lang in Vancouver an der University of British Columbia geforscht. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen, wie hat sich dieser gestaltet und weshalb haben Sie sich 2014 wieder entschieden, nach Deutschland zurückzukehren?
Professor Dr. Michael Giese: Ich wollte unbedingt Auslandserfahrung sammeln und ein anderes Land kennenlernen. Eigentlich ist es in meinem Fachbereich üblich einen Postdoc-Aufenthalt in Nordamerika oder in Japan zu absolvieren.
Ich habe mich da für Kanada entschieden, da mir das Land sympathisch war/ist und ich meinen späteren Postdoc Betreuer von der University of British Columbia in Vancouver bereits während meiner Promotion in Deutschland kennenlernte. Er bot mir ein interessantes wissenschaftliches Projekt an und nach der erfolgreichen Einwerbung eines DAAD-Stipendiums ging es dann nach Vancouver. Ursprünglich wollte ich nur ein Jahr in Kanada bleiben, aber meiner Frau und mir hat Vancouver und Kanada so gut gefallen, dass wir noch ein weiteres Jahr geblieben sind.
Ausschlaggebend für unsere Rückkehr waren die Familien, die wir aufgrund der Distanz selten gesehen und sehr vermisst haben. Ebenfalls spielte eine Rolle, dass ich in der akademischen Wissenschaft bleiben wollte, es aber in Vancouver selbst nur wenige Weiterentwicklungsmöglichkeiten gab.
GAIN: Auf welchem Weg haben Sie Ihre Stelle als Juniorprofessor an der Universität Duisburg-Essen gefunden? Wie hat sich die Jobsuche gestaltet und welche Portale/Medien/Anlaufstellen waren für Sie dabei besonders hilfreich?
Professor Giese: Die größte Hilfestellung für mich war mein Netzwerk in Deutschland, gerade der Kontakt zu meinem Doktorvater. Über diese Kontakte habe ich frühzeitig Bescheid über freie Stellen erhalten, die teilweise auch nicht auf academics.de ausgeschrieben wurden. Das Netzwerk war auch eine große Hilfe dabei, Vorschläge oder Alternativen aufzuzeigen, wenn es nicht klappte.
Auf die Stelle an der Universität Duisburg-Essen hat mich mein Doktorvater aufmerksam gemacht, der mir eine Ausschreibung weiterleitete. Ich habe mich dann auf die Stelle beworben und wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, das ich Dank eines DAAD-Reisestipendiums wahrnehmen konnte.
Was mir auch sehr geholfen hat, war die GAIN-Jahrestagung. Es war gut, auf der Talent Fair mit den einzelnen Hochschulen in Kontakt zu kommen und einfach mal zu sehen, welche Joboptionen es an den Hochschulen gibt, beispielsweise im Wissenschaftsmanagement. Oder auch mehr über die FH-Professur als Alternative zu einer konventionellen Universitätsprofessur zu erfahren.
GAIN: Welche Hilfen haben Sie bei Ihrer Rückkehr nach Deutschland erhalten, welche Unterstützung hätten Sie sich gewünscht?
Professor Giese: Was mir konkret sehr geholfen hat, war das DAAD Reisestipendium, das es mir ermöglichte, Bewerbungsgespräche in Deutschland überhaupt wahrzunehmen. Denn die hohen Reisekosten können eine große Hürde darstellen.
Prinzipiell finde ich auch das Rückkehrstipendium der DFG sehr gut, das die Möglichkeit bietet, ein halbes Jahr als Postdoc in Deutschland zu verbringen und dadurch aktiv auf Stellensuche gehen zu können. Vor Ort eine Stelle zu suchen erleichtert den Prozess deutlich: Das alte Netzwerk kann wieder reaktiviert werden und man bringt sich auf den neusten Stand der Forschung vor Ort. Es wäre toll, wenn ein solches Programm auf einer breiteren Ebene angeboten werden würde.
GAIN: Durch Ihre Forschungsarbeit in Kanada und Deutschland kennen Sie beide Wissenschaftssysteme sehr gut. Was können die deutschen von den kanadischen Kollegen lernen? Und was könnten sich wiederum die Kanadier von der Forschung in Deutschland abschauen?
Professor Giese: Meiner Meinung nach kommt es vor allem auf die Küste an, da sich die Menschen an Ost- und Westküste Nordamerikas sehr in ihrer Mentalität unterscheiden. An der Westküste in Kanada ist alles etwas entspannter. Gerade in der Projektplanung und mit Deadlines sind die kanadischen Kollegen viel geduldiger und aufgrund der teilweise sehr langen Lieferzeiten für Chemikalien und Verbrauchsmaterialien lernt man schnell seine Projekte sorgfältig zu planen und stärkt die Fähigkeiten zu kreativen Problemlösungsstrategien.
Was ich in Kanada auch sehr schätzte, war die Hilfsbereitschaft an der Kanadier, sowohl im Beruf als auch im privaten Bereich. Ohne dass ich sie fragen musste, haben und die Leute bei allem möglichen ihre Hilfe angeboten und versucht gemeinsam mit uns eine Lösung für das Problem zu finden.
Ansonsten sind sich die Wissenschaftssysteme sehr ähnlich. Beide arbeiten wissenschaftlich gesehen auf höchsten Niveau und mit einer exzellenten Infrastruktur.
GAIN: Welche Erfahrungen, die Sie bei Ihrem Forschungsaufenthalt in Kanada gemacht haben, sind für Sie heute besonders wertvoll und wie setzen Sie diese ein?
Professor Giese: Ganz wichtig für mich sind die vielen Kontakte zu sehr umgänglichen und exzellenten Forschern, die ich in meiner Zeit in Kanada gewonnen habe und über die ich auch nach wie vor wichtige Forschungsimpulse erhalte. Auch kann ich dieses Netzwerk für meine eigenen Mitarbeiter nutzen, falls diese an einem Auslandsaufenthalt interessiert sind. Wenn ich jemanden rüberschicke, dann weiß ich auch, dass er gut betreut und ausgebildet wird.
GAIN: Gibt es etwas, dass Sie nach Ihrer Zeit an einer kanadischen Universität in Deutschland besonders vermissen?
Professor Giese: Eine Sache, die ich sehr vermisse – und das hätte ich niemals gedacht – ist der Englischaustausch sowie die Internationalität an kanadischen Universitäten, die sowohl privat als auch fachlich Inspiration für viele neue Denkansätze ist. Ich persönlich mochte auch die flachen Hierarchien sehr gerne, in der vom Institutsleiter bis zum Studierenden auf kollegialer Ebene diskutiert und agiert wird.
GAIN: Was müssen aus Ihrer Perspektive heraus deutsche Hochschulen machen, um international noch attraktiver zu werden?
Professor Giese: Generell würde ich es mir wünschen, dass Nachwuchswissenschaftlern eine längerfristige Perspektive für ihre Arbeit geboten würde, zum Beispiel durch Ausschreibungen von Juniorprofessuren mit Tenure-Track-Option. Momentan gilt für die meisten Nachwuchswissenschaftlern, dass Sie befristete Arbeitsverträge erhalten und von Anfang an wissen, dass sie in 3 – 6 Jahren wieder eine neue Stelle suchen müssen. Das ist natürlich gerade bei der Familienplanung ein Problem, Job und Familie werden dann schwer vereinbar.
Die 1000 Tenure-Track-Stellen sind ein sehr guter und wichtiger Schritt. Nur für mich persönlich ist es jetzt zu spät, mich auf eine solche Stelle zu bewerben, um auch längerfristig die Perspektive zu haben, an der Universität Duisburg-Essen wissenschaftlich tätig zu sein.
GAIN: Falls Sie in der Zeit 10 Jahre zurückgehen und Ihrem jüngeren Selbst Ratschläge geben könnten: Welche wären dies?
Professor Giese: Im Wesentlichen würde ich mir raten, auf jeden Fall Auslandserfahrung zu sammeln. Diese Erfahrung hat mich beruflich und privat sehr bereichert. Die Wissenschaft ist spannend und wichtig, aber das Kennenlernen anderer Kulturen sollte sowohl auf wissenschaftlicher als auch privater Ebene nicht zu kurz kommen.
GAIN: Gibt es noch etwas, das Sie zum Abschluss des Interviews gerne an die GAIN Community weitergeben würden?
Professor Giese: Wenn man aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren will, dann sollte man schon sehr früh mit der Planung beginnen. Bei mir hat es fast ein Jahr gedauert, bis ich meine derzeitige Stelle in Deutschland gefunden habe.